Jürg Hauswirth


Wie bist Du darauf gekommen, Religionswissenschaft zu studieren?

Nach der Matur hatte ich vorerst genug von der Schulbank, und seither arbeite ich als Bahnhofvorstand bei der SBB. Religiöse Fragen, zum Beispiel das Weiterleben nach dem Tod, die Existenz von Gott oder der Sinn des Lebens, spielen für mich persönlich keine grosse Rolle. Um so mehr interessiere ich mich aber für die teils recht gegensätzlichen gesellschaftlichen Auswirkungen von Religionen: Liebe und Hass, Barmherzigkeit und Gewalt, Identität und Abgrenzung. Im Jahr 2004 stiess ich zufällig auf das Angebot des religionswissenschaftlichen Studiengangs an der Universität Zürich, und meine schlafende akademische Ader war sogleich hellwach.

Welche Religionen hast Du durch das Studium besser kennengelernt?

Man lernt natürlich nicht "alle" Religionen im gleichen Mass kennen. Aus der breiten Auswahl wählte ich das Christentum als meinen Studienschwerpunkt, weil es unsere Kultur am meisten geprägt hat. Dazu gehören aber auch vertiefte Kenntnisse des antiken und modernen Judentums sowie des Islams. In der zweiten Hälfte des Studiums legte ich einen speziellen Fokus auf den hiesigen freikirchlichen Protestantismus. Studienmässig eher zu kurz kamen bei mir die fernöstlichen Traditionen, die man hierzulande unter den Bezeichnungen Buddhismus und Hinduismus kennt.

Wo gab es Probleme zu Beginn des Studiums?

Der Entscheid zum Studium stellte mein bisheriges Leben schon ein wenig auf den Kopf. Die Terminkollisionen zwischen Studium und Arbeit bereiten vielen grosse Mühe. Glücklicherweise erklärte sich in meinem Fall ein pensionierter Kollege bereit, mich während der Vorlesungszeiten am Arbeitsplatz zu vertreten.

Was die berüchtigte Anonymität an der Uni angeht: An unserer Fakultät schätzte ich von Beginn an die familiäre Atmosphäre, die aber nie in Vereinnahmung oder Engnis ausartet. Man hat jede Freiheit, sich in beliebiger Intensität ins soziale Netzwerk der Studierenden zu integrieren oder ihm fernzubleiben. Wenn es für mich ein Problem gab, so lag es wohl am ehesten in der Überwindung zum Abtauchen in die besonderen religiösen Lebenswelten der Forschungsfelder. Aber auch das lernt man mit der Zeit: Augen auf und durch!

Hast Du in Deinem Studium auch schon an praktischen Projekten mitgearbeitet?

Im Fachverein der Studierenden engagierte ich mich in verschiedenen Ämtern und Kommissionen, was mir neben vielen tollen Kontakten zu Mitstudierenden auch einen guten Einblick in den akademischen Betrieb ermöglichte. In einem mehrmonatigen Forschungspraktikum machte ich eine Feldstudie über eine Freikirche in meinem Wohnort, was sich ideal mit Arbeit, Studium und Hobby verbinden liess. Letztes Jahr konnte ich am Buch "Jugend und Religion" mitarbeiten. Im Rahmen der 175-Jahrfeier der Uni erhielt ich Gelegenheit zur Mitorganisation einer Ausstellung zum Thema "Diesseits und Jenseits".

Hast Du schon Pläne für das Leben nach dem Studium?

Eigentlich noch nichts konkretes. Anwendungsmöglichkeiten meiner im Studium erworbenen Kenntnisse sehe ich in den Bereichen Lehre, Forschung, Publizistik und Beratung. Ich bin da völlig offen und nehme es, wie es kommt. Jedoch habe ich inzwischen die Lebensqualität, die ein 50-Prozent-Pensum mit sich bringt, überaus schätzen gelernt. Ich weiss nicht, ob ich dereinst wieder mehr um Lohn arbeiten möchte. Ausserdem würde ich auch gerne in der einen oder anderen Form meinem bisherigen Beruf treu bleiben. Auf jeden Fall bin ich zuversichtlich, was meinen weiteren Lebensweg angeht.