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Religionswissenschaftliches Seminar

Der Zwetschgenkrieg: Ein antijüdisches Pogrom während der Helvetik (1802) und seine Rezeption in Geschichtsschreibung, Gebrauchsgeschichte und religiöser Erinnerungskultur

Am 21. September 1802 ereignete sich in den beiden Surbtaler Gemeinden Endingen und Lengnau – den einzigen Ortschaften auf dem Gebiet der heutigen Schweiz, in deren Grenzen zu diesem Zeitpunkt jüdische Siedlungen gestattet waren – ein antijüdisches Pogrom. Dabei versammelten sich rund 800 Bewohner aus den umliegenden Tälern, um die jüdischen Teile der beiden Gemeinden anzugreifen und zu plündern. Diese Ausschreitungen werden in den zeitgenössischen Quellen mehrheitlich als "Zwetschgenkrieg" bezeichnet. Sie bilden den Ausgangspunkt für das vorliegende Dissertationsprojekt. Die Untersuchung wird in drei Teile mit jeweils unterschiedlichen Forschungsinteressen gegliedert.

I. Im Sinne einer mikrohistorischen Studie soll das Pogrom zunächst in Form einer dichten Beschreibung nachgezeichnet werden. Die Anwendung von Gewalt soll dabei nicht als irrationales Momentum begriffen werden, sondern als Mittel der Kommunikation, deren performative und affektive Dimensionen es zu erfassen und deren Motive es zu erörtern gilt.

II. Anders als die (spärliche) bisherige Forschung wird der Zwetschgenkrieg hierbei nicht als sekundäres Ereignis betrachtet, sondern als eigenständiges Konfliktfeld, in welchem sich verschiedene Interessenlagen, Diskurse und Narrative des 18. Jahrhunderts widerspiegeln. Der Antijudaismus, der darin zum Tragen kommt, ist im Zusammenhang gesellschaftlicher Entwicklungen, konfessioneller und religiöser Bruchlinien, sozioökonomischer Problemlagen und lokalspezifischer Konflikte zwischen christlicher Mehrheitsgesellschaft und jüdischer Minderheit zu interpretieren. Das Pogrom von 1802 betrachte ich als (vorläufigen) Kulminationspunkt religiöser, politischer, ideeller, wirtschaftlicher und sozialer Differenzierungsprozesse des 18. Jahrhunderts.

III. Der dritte Teil der Arbeit widmet sich der Rezeption des Pogroms in Geschichtsschreibung, Gebrauchsgeschichte, religiöser Erinnerungskultur und Belletristik. Ich gehe davon aus, dass das Erzählen von Geschichte erinnerungskulturellen Dispositiven, tief wurzelnden Wertvorstellungen und Selbstdeutungen von Gemeinschaften folgt. Diese Faktoren wandeln sich mit der fortschreitenden Gegenwart. Entsprechend sollen Interpretationen und Imaginationen der Vergangenheit in Bezug auf den Zwetschgenkrieg und der Umgang mit religiöser Andersartigkeit in ihren jeweiligen historischen und kulturellen Kontexten untersucht werden.

Finanzierung

Forschungskredit der Universität Zürich, SNF (Personen- und Projektförderung)

Kooperationsnetzwerk

Prof. Dr. Jacques Picard
Universität Basel
jacques.picard@unibas.ch

Prof. Dr. Jakob Tanner
Historisches Seminar, UZH
jtanner@hist.uzh.ch